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Zum heutigen Welt-Osteoporose-Tag erhalten Sie aktuellen und ausführlichen Lesestoff. Für uns ist jeder Tag Osteoporosetag, für viele von Ihnen auch. Aber mehr Wissen kann helfen.
Herzliche Grüsse und gute Gesundheit, Ihre OsteoSwiss

 

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Prof. Dr. med. Kurt Lippuner, Direktor und Chefarzt, Universitätspoliklinik für Osteoporose, Inselspital/ Universitätsspital, Universität Bern.

 

  

 

Das Hauptziel aller Osteoporose-Therapien besteht darin, das Risiko von Fragilitätsfrakturen zu verringern. Die Möglichkeit, das individuelle Frakturrisiko zu bestimmen, ist somit Grundvoraussetzung für die Identifikation von Patientinnen und Patienten, welche für eine Behandlung in Frage kommen bzw. eine solche dringend benötigen.

 

Was ist neu bei den Therapieempfehlungen der SVGO

Die neuen Empfehlungen der SVGO unterscheiden 4 Risikokategorien:
gering, mässig, hoch und neu zusätzlich «sehr hoch» (Abb.4).

Da knochenanabole Substanzen in Hochrisikosituationen möglicherweise wirkungsvoller sind als resorptionshemmende Medikamente (was bisher für perorale Bisphosphonate gezeigt werden konnte, Abb.6), postuliert die Vereinigung, dass die knochenanabolen Substanzen, welche bisher vorwiegend als Zweitlinien Medikamente eingesetzt wurden, neu auch als Erstlinien Medikamente bei Patientinnen und Patienten mit sehr hohem oder imminentem Frakturrisiko eingesetzt werden sollen, z.B. nach kürzlich stattgehabter Wirbel- oder Hüft-Fraktur (Referenz: Ferrari, Lippuner, Lamy, Meier, s.o.).

Man muss sich bewusst sein, dass derzeit ein Erstlinien Einsatz dieser Medikamente eine vorgängige Kostengutsprache durch die Krankenkasse erforderlich macht, da die Kosten in dieser Indikation nicht obligatorisch übernommen werden.

 

 

Der Risikorechner

Das weltweit am häufigsten verwendete Werkzeug zur Bestimmung des Frakturrisikos ist der FRAX®-Risikorechner. FRAX® ist ein Computer-basierter Fraktur-Algorithmus, der das Geschlecht, das Alter, den Body Mass Index sowie weitere klinische Risikofaktoren (s. Tabelle 1) der abzuklärenden Person integriert, welche das Frakturrisiko unabhängig von der Knochendichte und über diese hinaus beeinflussen. Die Knochendichte (gemessen am Schenkelhals) ist bei diesem Rechner zwar eine wichtige aber eine optionale Inputvariable. Das heisst, man kann FRAX® auch in Ländern anwenden, in welchen keine Knochendichtemessungen verfügbar sind.

FRAX® berechnet das absolute Knochenbruchrisiko über 10 Jahre für eine der 4 Hauptfrakturen bei Osteoporose (Major Osteoporotic Fractures, MOF, d.h. Wirbel-, Hüft-, (schulternahe) Oberarm- und (handgelenksnahe) Frakturen der Speiche) sowie für Hüftfrakturen separat.

Die Kombination von Knochendichte und klinischen Risikofaktoren ergibt eine bessere Voraussagekraft für Knochenbrüche als die Knochendichte oder die Risikofaktoren allein. FRAX® berücksichtigt bei der Berechnung der 10-Jahres Frakturwahrscheinlichkeit auch das Sterblichkeitsrisiko. Dies ist wichtig, da einige der Risikofakoren beide Endpunkte beeinflussen können.

Die Konzeption dieser «Risikoberechnungs-Maschine» startete bereits in den 90er Jahren und eine erste Version von FRAX® gelangte 2008 zur Anwendung. Seither wird dieses Instrument aufgrund aktueller Wissensgrundlagen stetig weiterentwickelt. Initiiert und geleitet wurde  und wird das Grossunterfangen vom damaligen WHO-Kooperationszentrum für Knochenstoffwechsel-krankheiten in Sheffield (UK). Über Jahre wurden unter der Leitung von Professor John Kanis und seinem Team Risikofaktoren für Knochenbrüche in weltweiten Kohorten von Männern und Frauen eruiert und daraus FRAX® konstruiert und noch heute ist die gleiche Expertengruppe federführend – der Launch einer zweiten, komplett überarbeiteten Version von FRAX wird für das kommende Jahr erwartet.

Folgende Prämissen für den «FRAX» Rechner waren vorgegeben:

  • er ermöglicht aufgrund klinischer Risikofaktoren die Berechnung der individuellen 10-Jahres Wahrscheinlichkeit einer Fraktur
  • die Risikofaktoren müssen einfach zu erheben sein
  • das Frakturrisiko, welches durch die Faktoren bedingt ist, muss einer Therapie zugänglich, d.h. reversibel sein
  • der Algorithmus ist mit oder ohne Knochendichtemessung anwendbar (für Länder, in welchen die DXA Technologie nicht verfügbar ist)
  • FRAX® ist für Frauen und Männer anwendbar
  • verbessert die Sensitivität der Fraktur-Voraussage
  • ist wissenschaftlich solide
  • hat internationale Gültigkeit

 

Welche klinischen Risikofaktoren sind in FRAX ®enthalten:

In einer Serie von sogenannten Metanalysen, d.h. integrierenden Auswertungen zahlreicher Einzelstudien, wurden Faktoren eruiert, welche zumindest zu einem Teil unabhängig von der Knochendichte und über diese hinaus zum Frakturrisiko beitragen:

 

Ein solcher Faktor ist das Alter (Abbildung 1)

Für eine beliebige Knochendichte bzw. einen beliebigen T-score ist das entsprechende Frakturrisiko bei älteren Menschen höher als bei jüngeren. Dies, weil das Alter auch unabhängig von der Knochendichte zum Frakturrisiko beiträgt.  Hierfür sind Faktoren wie die Materialalterung und das Sturzrisiko verantwortlich. Abbildung 1 zeigt, dass die Frakturwahrscheinlichkeit Knochendichte- und Alter- abhängig ist. Das Alter ist ein Beispiel für einen irreversiblen Risikofaktor. Jedoch ist das Risiko, welches durch das Alter identifiziert wird, reversibel.

 

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Legende Abbildung 1
10 Jahres Wahrscheinlichkeit einer Hüftfraktur von Frauen in Schweden in Abhängigkeit des Alters und der Knochendichte (T-score) am Schenkelhals. Bei gleicher Knochendichte ist das Risiko einer Fraktur viel höher bei älteren als bei jungen Menschen. Auf dem Knochendichte Schwellenwert für Osteoporose, einem T-score -2.5, variiert die 10 Jahreswahrscheinlichkeit einer Hüftfraktur bei Frauen von Schweden 5-fach, abhängig vom Alter (80- versus 50-jährig). modif. n. Kanis, Johnell et al  Osteoporosis Int 2001

 

Tabelle 1 zeigt weitere Faktoren, welche mit- oder ohne Eingabe der Knochendichte das Frakturrisiko erhöhen, und welche in den Risikokalkulator integriert wurden.

Tabelle 1: FRAX®-Risikofaktoren und die damit assoziierte Risiko-Erhöhung für eine Hüftfraktur, nach Ajustierung für das Alter und die Knochendichte.

Risiko Indikator Risiko Multiplikator
Body Mass Index 20kg/m2 im Vergleich zu 25kg/m2                    
1,42 fach
Vorbestehende Fraktur nach 50-jährig (ja versus nein) 1,62 fach
Elterliche Hüftfraktur (ja versus nein) 2,28 fach
Gegenwärtiges Rauchen (ja versus nein) 1,60 fach
Glucocorticosteroide whd. >3 Mte (ja versus nein)   2,25 fach
Alkohol >2 Einheiten täglich (ja versus nein) 1,70 fach
Rheumatoide Arthritis (ja versus nein) 1,73 fach

 

 

 

 

 

 

 

Zahlreiche weitere klinische Faktoren wurden identifiziert, deren Einfluss auf das Frakturrisiko jedoch nicht unabhängig von der Knochendichte ist, sondern zu einem grossen Teil über diese erfolgt. Sobald also die Knochendichte im FRAX® Modell eingegeben wird, spielen sie -nach bisherigem Wissensstand- keine oder eine geringe zusätzliche Rolle. Zu diesen Faktoren zählen unter anderen: unbehandelter Hypogonadismus (z.B. frühe Menopause, antihormonelle Therapien etc), chronisch entzündliche Darmerkrankungen (z.B. M. Crohn, Colitis ulcerosa u.a.), Langzeit Immobilisation (z.B. nach Rückenmarksverletzungen, bei Parkinson Krankheit, Hirnschlag, Muskeldystophien u.a.), Organtransplantation, Diabetes, Schilddrüsenüberfunktion, chronisch obstruktive Lungenerkrankungen, HIV- Infektion bzw. Medikation und weitere.

 

Rolle der Knochenmineraldichte in der Risikokalkulation

Der Einfluss der Knochenmineraldichte auf das Frakturrisiko wurde in einer Metanalyse von Daten aus 12 Kohortenstudien mit 39'000 Männern und Frauen analysiert (Abbildung 2).

Die Knochendichte erweist sich als der wichtigste und beste einzelne Faktor zur Voraussage des Frakturrisikos bei Männern und Frauen.

Mit 60-jährig steigt z.B. das Risiko einer Schenkelhalsfraktur 3-fach an für jede Abnahme der Knochendichte um 1 Standardabweichung (= um einen Zähler des T-scores). Der Effekt der Knochendichte auf das Risiko von Hüftfrakturen wird mit zunehmendem Alter etwas kleiner, der Effekt auf das Risiko der anderen 3 Frakturtypen (Wirbel-, Oberarm, Handgelenk) nimmt mit dem Alter hingegen zu (Daten nicht abgebildet).

 

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Legende Abbildung 2
Voraussage einer Hüftfraktur mittels der Knochenmineraldichte gemessen am Schenkelhals, nach Altersgruppen. Die Balken (Y-Achse) stellen die Risiko-Erhöhung pro Änderung der Knochendichte um 1 SD-Einheit (T-score) dar. Metanalyse aus 12 Kohortenstudien mit 9‘891 Männern und 29‘082 Frauen, Beobachtungszeit 16.3 Jahre, in dieser Zeitspanne traten 3694 Frakturen wovon  971 Hüftfrakturen auf. Kohorten: EVOS/ EPOS, EPIDOS, OFELY, CaMos, Rochester, Sheffield, Rotterdam, Kuopio, DOES, Hiroshima, Gothenburg. Daten von Johnell et al, J Bone Miner Res 2005.

 

Kalibration des Risikorechners nach Ländern/ Regionen: FRAX® Schweiz !

Da die Frakturwahrscheinlichkeit in den verschiedenen Regionen der Welt stark variiert, sollte FRAX für jedes Land eigens kalibriert werden. Dies ist allerdings nur dann möglich, wenn die epidemiologische Datenlage des betreffenden Landes bekannt ist. Dazu gehören die Frakturhäufigkeit in jeder Alterskategorie, die Sterblichkeitsdaten sowie die Normdatenbank zur Knochenmineraldichte. Nur so können landesspezifische individuelle 10- Jahreswahrscheinlichkeiten von Frakturen in Abhängigkeit der genannten klinischen Risikofaktoren berechnet werden.

Sind solche Daten für ein Land nicht bekannt, können behelfsmässig Daten benachbarter Länder stellvertretend eingesetzt werden.

Wir haben 2009 den FRAX® Rechner für die Schweiz aufgrund der eigens erhobenen Daten für unser Land kalibriert (Lippuner et al Osteoporos Int 2009). Abbildung 3 zeigt die 10-Jahreswahrscheinlichkeiten für eine der 4 Hauptfrakturen bei Osteoporose in der Schweiz nach Alter und Knochendichte (T-score) am Schenkelhals.

 

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Legende Abbildung 3
10 Jahres Wahrscheinlichkeiten einer osteoporotischen Fraktur von Männern und Frauen in der Schweiz nach 5-Jahres-Alterskategorien und Knochendichte (T-score) am Schenkelhals (ohne zusätzliche FRAX-Risikofaktoren!). Ein 65-jähriger Mann mit einem T-score von -2,5 am Schenkelhals ohne weitere Risikofaktoren hat eine 11 prozentige Wahrscheinlichkeit, innert 10 Jahren einen osteoporotischen Knochenbruch (einer der 4 Hauptfrakturen) zu erleiden. Für eine gleichaltrige Frau beträgt das Risiko 14%.  Aus Lippuner K et al, Osteoporosis Int 2009.


Zum Beispiel hat eine 65-jährige in der Schweiz lebende Frau mit einem T-score von –2,5 am Schenkelhals (also Gerade an der Schwelle einer Osteoporose), eine 10-Jahreswahrscheinlichkeit von 14%, eine der vier Osteoporosefrakturen (MOF) zu erleiden. Dies gilt, sofern die Frau ausser einer niedrigen Knochendichte keine weiteren Risikofaktoren hat.

Addiert man sukzessive die FRAX-Risikofaktoren aus Tabelle 1, so erhöht sich die 10-Jahreswahrscheinlichkeit auf 15% (+Rauchen), 19% (+Alkohol mehr als 2 Gläser pro Tag), 25% (+rheumatoide Arthritis), 39% (+Kortisontherapie), 56% (+vorbestehende Fraktur) bzw. 72% (+Hüftfraktur eines Elternteils) wenn alle Risikofaktoren gleichzeitig vorliegen (Lippuner et al, Osteoporosis International 2010).

Aufgrund der zum Zeitpunkt der Konstruktion von FRAX® limitierten Datengrundlage konnten nicht alle Faktoren, die gemäss heutigem Wissensstand das Frakturrisiko mitbestimmen, in den Risikorechner integriert werden, so fehlen darin beispielsweise ein erhöhtes Sturzrisiko oder die biochemischen Marker des Knochenstoffwechsels. Solche und weitere zusätzliche Faktoren muss der Spezialist gesondert in seine Überlegungen miteinbeziehen, wenn er des individuelle Frakturrisiko eines Patienten berechnet.

Aktuell (Oktober 2021) ist FRAX® in 72 Ländern und 35 Sprachen verfügbar und deckt damit über 80% der Weltbevölkerung ab.

 

Interventionsschwellen: ab wann soll man behandeln ?

Welche Bedeutung FRAX® in den letzten 10 Jahren im klinischen Alltag gewonnen hat, wird durch die grosse Anzahl publizierter Leitlinien hervorgehoben, welche Osteoporose-Therapien auf der Basis von 10 Jahres Frakturwahrscheinlichkeiten empfehlen.

Bis heute wurde FRAX in mehr als  120 Osteoporose-Guidelines weltweit eingebaut.  Der Ansatz, nach welchem die Behandlungsschwellen definiert werden ist sehr unterschiedlich und hängt von lokalen Faktoren ab, z.B. von gesundheitsökonomischen Aspekten, von der Bereitschaft, für die medizinische Osteoporoseversorgung zu bezahlen, der Rückvergütungspraxis durch Kassen, dem Zugang zu Knochendichtemessungen und weiteren. Aufgrund dieser vielfältigen Umstände ist es weder möglich noch wünschenswert, eine einzige Interventionsstrategie zu verfolgen.

Um den Rahmen dieses Beitrags nicht zu sprengen, wollen wir uns auf die in Europa gängige Festlegung von Behandlungsschwellen beschränken. Diese wurde von den Experten in England (Gruppe um Prof. Kanis) 2008 im Rahmen der National Osteoporosis Guideline Group (NOGG) in den UK vorgegeben. Es handelt sich um einen altersabhängigen Ansatz der Behandlungsschwelle. Der gleiche Ansatz wurde von den europäischen Osteoporose Vereinigungen wie IOF (International Osteoporosis Foundation), ECTS (European Calcified Tissue Society) und weiteren Gesellschaften übernommen. So auch von der Schweizerischen Vereinigung gegen die Osteoporose (SVGO).

Eine Osteoporosetherapie ist gemäss dieser Richtlinie dann unumgänglich, wenn das altersspezifische Frakturrisiko gleich hoch ist wie dasjenige einer Frau gleichen Alters, die bereits eine Fraktur erlitten hat. Da das Risiko, welches eine Fraktur mit sich bringt, mit dem Alter ansteigt, steigt auch die Behandlungsschwelle mit dem Alter an.

Mit anderen Worten, der Behandlungsschwellenwert wird gewissermassen gleichgesetzt mit dem Frakturschwellenwert. Niemand würde je in Frage stellen, dass man jemanden, der bereits eine Fraktur erlitten hat, behandeln soll. Mit FRAX® ist es möglich zu berechnen, ob ein Risiko aufgrund anderer Faktoren in Summe demjenigen einer bereits erlittenen Fraktur gleichkommt und daher eine Behandlung ebenfalls zwingend angezeigt ist. Dieser Ansatz der Behandlungsschwelle ist bestens validiert und es wurde gezeigt, dass eine solche Behandlungsstrategie kosteneffektiv ist.

Übrigens soll der gleiche Interventionsschwellenwert auch für Männer verwendet werden, da Wirksamkeit und Kosteneffizienz der Behandlung von Männern und Frauen bei äquivalentem Risiko weitgehend übereinstimmen.

 

Vier Risikokategorien: von gering bis sehr hoch

Abbildung 4 zeigt die aktuellen Interventionsschwellen, wie sie von der SVGO vor kurzem publiziert wurden (Ferrari S, Lippuner K, Lamy O, Meyer C, Swiss Med Wkly 2020). Die blaue Linie entspricht dem Frakturrisiko von Frauen, welche eine vorbestehende Fraktur haben. Ein Patient dessen FRAX Score oberhalb dieser Schwelle liegt, hat eine hohes Frakturrisiko und sollte, wenn immer möglich, behandelt werden.

 

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Legende Abbildung 4
Interventionsschwellen bzw. Risikokategorien aufgrund von 10 Jahres Wahrscheinlichkeiten einer osteoporotischen Fraktur von Männern und Frauen in der Schweiz (MOF = Major Osteoporotic Fracture, d.h. Wirbelkörperfraktur, Fraktur der Hüfte, des Oberarms oder der Speiche handgelenksnah). Die blaue Linie entspricht der sogenannten «Frakturschwelle», d.h. dem Risiko, welches eine Frau mit einer vorbestehenden Fraktur aufweist. Dieses Risiko steigt mit dem Alter an. Konstellationen im FRAX Score, welche auf oder über diese blaue Linie zu liegen kommen, bedeuten stets ein «hohes Risiko» mit Behandlungsbedarf. Neu in den aktuellen Leitlinien (2020) ist die Kategorie des «sehr hohes Risiko», markiert durch die rote Linie. Sie markiert ein Frakturrisiko, welches 20% oberhalb demjenigen der blauen Linie liegt. Bedeutung für die jeweilige Wahl der Therapie, siehe Text. Daten von Lippuner K et al, Osteoporosis Int. 2010;  SVGO Guidelines 2020: Ferrari S, Lippuner K, Lamy O, Meier C, Swiss Med Wkly 2020.

 

Zur Illustration: Eine 65-jährige Frau, welche bereits einen Knochenbruch (ohne schwerwiegendes Trauma) im Erwachsenenalter hatte, kommt auf ein 10-Jahres Risiko (für MOF) von 16% und sollte (ungeachtet der Knochendichte) behandelt werden. Eine gleichaltrige Patientin mit einem T-score von -1,8 am Schenkelhals, deren Mutter im Alter eine Schenkelhalsfraktur erlitten hat, weist ebenfalls einen FRAX® Score im behandlungsbedürftigen Risikobereich auf (19% für MOF).

Was bedeutet nun die neue Kategorie des sehr hohen Frakturrisikos, welche erstmals vor wenigen Monaten in Guidelines erschienen ist (Kanis JA, Harvey NC, McCloskey E et al Osteoporos Int 2020) und wenig später in den Leitlinien der SVGO als hohes Risiko +20% (rote Linie) eingeführt wurde (Ferrari S, Lippuner K, Lamy O, Meier C.  Swiss Med Wkly 2020) ?

Um dies zu verstehen, muss kurz ausgeholt und auf neuste Erkenntnisse hingewiesen werden, die a) ein imminentes Risiko einer Folge-Fraktur nach einer ersten Fraktur belegen und b) die Überlegenheit osteoanaboler Therapien gegenüber gewissen Medikamenten zur Hemmung des Knochenabbaus bei Patienten mit sehr hohem Frakturrisiko dokumentieren.

 

Imminentes Frakturrisiko: unmittelbar nach einer ersten Fraktur ist das Risiko sehr hoch

Abbildung 5 zeigt den typischen zeitlichen Verlauf des Auftretens von Zweitfrakturen nach stattgehabter erster Fraktur, wobei die Erstfraktur in gezeigtem Beispiel jeweils eine klinische Wirbelfraktur war. Die Daten stammen aus der Reykjavik Studie (Kanis et al,  Osteoporos Int 2018).

Insgesamt erlitten in dieser Kohorte 49% der Männer und Frauen, die eine klinische Wirbelfraktur erlitten hatten, innert 10 Jahren eine zweite osteoporotische Fraktur (MOF). Von diesen Zweitfrakturen traten über 50% in den ersten 2 Jahren nach dem Erstereignis auf !  Die gesamte Kohorte umfasste 18872 Männer (48%) und Frauen (52%) im Alter von durchschnittlich 52.8 Jahren (33-81 J.) bei Einschluss, die Beobachtungsdauer betrug 27 Jahre.

 

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Legende Abbildung 5
Zeigt den zeitlichen Verlauf wiederkehrender Frakturen (Zweitfrakturen) bei Männern und Frauen innert 10 Jahren nach einer Erstfraktur eines Wirbelkörpers, ausgedrückt als Prozentsatz all derjeniger, die eine Zweitfraktur erleiden. Eine Zweitfraktur nach einer klinisch manifesten Wirbelfraktur tritt in über der Hälfte der Fälle innert zwei Jahren auf. Dieses massiv erhöhte Frakturrisiko unmittelbar nach Erstfraktur wird auch als «imminentes Frakturrisiko» (=drohendes Risiko) bezeichnet. Daten aus der Reykjavik Studie (Kanis JA et al, Osteoporosis International 2018).

 

Frische Fraktur als Risiko Multiplikator

Das Risiko einer Zweitfraktur ist also speziell erhöht unmittelbar nach der Erstfraktur und nimmt mit der Zeit immer mehr ab.  

Wie lässt sich dieser jüngst beschriebene Sachverhalt auf den FRAX® Score übertragen?  

Basierend auf der Reykjavik-Studie konnten Risiko-Multiplikatoren abgeleitet werden, mit welchen das 10-Jahres Risiko einer Person mit einer Fraktur unbekannten Alters (bzw. älter als 2 Jahre), multipliziert werden muss, um das tatsächliche Risiko nach kürzlich stattgehabter Fraktur zu berechnen.

Diese Multiplikatoren sind altersabhängig und betragen mit 50 Jahren 2,6-fach, mit 60 Jahren 1,8-fach, mit 70 Jahren 1,5-fach, mit 80 Jahren 1,2-fach.

So beträgt z.B. das 10-Jahres FRAX®-Risiko (für MOF) einer 60-jährigen Frau mit einer älteren Fraktur 16% gegenüber 29% im Falle einer frischen Fraktur. Nach einer frischen Fraktur wird die Kategorie «sehr hohes Risiko» also sehr leicht erreicht…

 

Überlegenheit osteoanaboler Therapien gegenüber peroralen Bisphosphonaten bei Patienten mit sehr hohem Frakturrisiko

In den letzten Jahren wurden zwei Studien publiziert, die je in einem «head- to -head» Vergleich nachweisen konnten, dass die knochenanabolen Substanzen Teriparatid und Romosozumab den peroralen Bisphosphonaten Risedronat bzw. Alendronat hinsichtlich der Frakturrisiko Senkung bei Patientinnen mit sehr hohem / imminentem Frakturrisiko überlegen sind. Siehe dazu Abbildung 6 und Erläuterungen in der Legende. Diese Überlegenheit der Knochenanabolika bezieht sich allerdings nur auf die in den Studien verwendeten peroralen Bisphosphonate. Direkte Vergleiche mit anderen antiresorptiven Substanzen wie z.b. dem intravenösen Bisphosphonat Zoledronat oder den RANK-Ligand Antikörper Denosumab wurden nicht durchgeführt. Letztere haben durchaus auch ihren Stellenwert bei der Therapie des sehr hohen Frakturrisikos.

 

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Legende Abbildung 6

Überlegenheit der beiden knochenanabolen Substanzen Teriparatid bzw. Romosozumab im Vergleich zu den knochenresorptionshemmenden Bisphosphonaten Risedronat bzw. Alendronat in Bezug auf die Senkung des Wirbelfrakturrisikos. 12 Monats-Resultate aus dem VERO Trial (a) und dem ARCH Trial (b).

Diagramm a)

In den VERO Trial («VERtebral fracture treatment comparisons in Osteoporotic women», Kendler DL et al, Lancet 2018) wurden postmenopausale Frauen eingeschlossen, welche einen T-score von -1,5 oder tiefer aufwiesen und bereits mindestens 2 moderate oder 1 schwere Wirbelkörperfraktur hatten und demzufolge ein hohes bis sehr hohes Frakturrisiko aufwiesen. Sie erhielten als Wirkstoff entweder 20µg/d Teriparatid (subcutan) oder 35mg Risedronat Wochentablette. Die Studie war auf 2 Jahre ausgelegt und primärer Endpunkt waren radiologisch feststellbare neue Wirbelfrakturen nach 24 Monaten Behandlung. Der hier gezeigte Ausschnitt aus den Resultaten sind 12 Monats-Daten, welche zeigen, dass bereits im ersten Jahr der Behandlung das Risiko neuer Wirbelfrakturen durch das knochenanabole Teriparatid (tägliche Selbstinjektion subkutan) im Vergleich zum peroralen Bisphosphonat Risedronat (1x pro Woche) stärker gesenkt wird. Die relative Risikosenkung (RRR) nach einem Jahr betrug 48%, (95% CI 0.30-0.91, p=0.019). Die Zahlen in den Balken zeigen die Anzahl von Patienten mit radiologisch festgestellten Wirbelbrüchen pro Gesamtzahl Patienten in der jeweiligen Behandlungsgruppe.

Diagramm b)

In die wesentlich grössere “Active-Controlled Fracture Study in Postmenopausal Women with Osteoporosis at High Risk” (ARCH, Saag K, et al, New Engl J Med 2017) wurden postmenopausale Frauen eingeschlossen die einen T-score von ≤ -2,5 (an Hüfte/ Schenkelhals) plus mindestens 1 moderate oder schwere Wirbelfraktur oder mind. zwei milde Wirbelfrakturen aufwiesen. Auch Frauen mit T-score ≤ -2 konnten eingeschlossen werden, sofern sie gleichzeitig  ≥ 2 moderate oder schwere Wirbelfrakturen oder eine Hüftfraktur innerhalb der vorangehenden 3 bis 24 Monate vor Einschluss in die Studie erlitten hatten.  Es handelte sich also um Patienten mit sehr hohem, teils imminentem Frakturrisiko. Die Patientinnen erhielten als Wirkstoff entweder monatlich subcutan romosozumab (210 mg) oder 1x wöchentlich eine Tablette mit 70mg Alendronat über 12 Monate.  Die Studie war ebenfalls auf 2 Jahre ausgelegt und ein primärer Endpunkt waren radiologisch feststellbare neue Wirbelfrakturen nach 24 Monaten Behandlung. Im zweiten Jahr der Studie erhielten alle Patienten die Alendronat Wochentablette. Der hier gezeigte Ausschnitt aus den Resultaten sind 12 Monats-Daten, welche zeigen, dass bereits im ersten Jahr der Behandlung das Risiko neuer Wirbelfrakturen durch das knochenanabole Romosozumab (1x pro Monat, subkutan) im Vergleich zum peroralen Bisphosphonat Alendronat (1x pro Woche) stärker gesenkt wird. Die relative Risikosenkung (RRR) im Vergleich zu Alendronat nach einem Jahr betrug 37%, (95% CI 0.47-0.85, p=0.003). Die Zahlen in den Balken zeigen die Anzahl von Patienten mit radiologisch festgestellten Wirbelbrüchen pro Gesamtzahl Patienten in der jeweiligen Behandlungsgruppe.

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